Spurlos

29. November 2007 | Von | Kategorie: Kaleidoskop

Socken sind geborene Paare und könnten miteinander leben, bis dass der Tod sie scheidet. Nicht selten allerdings verschwindet eine von ihnen und taucht fortan nie wieder auf. Der homo sapiens garniert seinen Abgang dieser Art gern mit der Bemerkung, er wolle “nur mal eben Zigaretten holen”.  Von Socken sind derlei Ausflüchte bisher nicht überliefert. Dies bedeutet allerdings wenig, da sich  die Erforschung der Sockensprache noch in ihren Anfängen befindet.

Von diesen Vorgängen zu unterscheiden sind Fälle, die lediglich dokumentieren, dass der/die/das Verschwundene zuvor gar  nicht existiert hat. Dies gilt etwa für die in der Werbung vor kurzem noch promovierte “Funktionshose” oder für Staatsmanner, die sich nach ihrer Abwahl als Heißluftballons decouvrieren und gazprompt im Unendlichen verpuffen.

Generell wirft spurloses Verschwinden des zuvor Vorhandenen schwerwiegende Fragen auf, zumal Materie nach aller Erfahrung nicht zur Auflösung neigt. Treiben der noch immer abgängige amerikanische Milliardär Steve Fossett und Millionen verschwundener Socken etwa – womöglich gemeinsam – noch irgendwo ihr leibhaftiges Wesen? Die Geschichte des im Jahr 1928 in Kanada verschwundenen Knaben Michael Norton spricht dafür. Er rief in der Folgezeit mehrfach vernehmlich nach seiner Mutter und fragte seine Eltern, “wo seid Ihr?”, blieb aber abgesehen davon verschwunden. Hielt er sich in einer anderen, zumindest hinsichtlich des Raums verschobenen Seinsebene auf? Dass unterschiedliche Realitäten existieren, lässt sich bekanntlich schon anhand der Diskussionsbeiträge in ehelichen Auseinandersetzungen unschwer nachweisen.

Steve Fossett war dem Durchschnittseuropäer nie wirklich nahe, und auch der Verlust eines langjährigen Ehemanns ist für die Zurückgebliebene häufig ohne weiteres zu verschmerzen, zumal nicht wenige Männer fortgeschrittenen Alters ihre Verzichtbarkeit hartnäckig zu demonstrieren pflegen. Anderes gilt für  die verschwundene Socke: Sie fehlt, ihr Verlust schmerzt, und die erfolglose Suche nach ihr öffnet der Depression Tür und Tor, getreu Woody Allens sinngemäßer Feststellung: “Meine Zahnpasta-Tube ist leer. Ich gehe unter”.

Was also ist zu tun? Die Forderung nach der Dreifach-Socke ist allzu wohlfeil, da das Verschwinden von Socken dauernd nicht auf eine von dreien beschränkt werden kann. Auch die Hinzufügung dritter Fahrspuren auf deutschen Autobahnen hat ihr Ziel gründlich verfehlt. Bleibt die resignierende Strategie, zahlreiche Paare gleicher Socken zu erwerben und die Bestände laufend zu ergänzen; zwischendurch verbleiben uns dann immer wieder auch Mengen, die durch zwei Füße teilbar sind. Und wenn die Ausreißer nachts nach uns rufen, können wir beruhigt die Decke über die Ohren ziehen und von der Funktionshose oder von Staatsmännern träumen.

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