Von der Hybris der Intellektuellen

13. April 2008 | Von | Kategorie: Teleskop

Lehrern, Ärzten und Rechtsanwälten eilt der Ruf voraus, sie seien unerträglich besserwisserisch. Damit ist die Liste freilich noch nicht komplett. Auch die so genannten Intellektuellen, seien sie nun Geisteswissenschaftler oder überdurchschnittlich gebildete Journalisten des Feuilletons, gehören  zur Spezies derer, die sich dieses Vorurteil redlich verdient haben.

So kann ein westlicher Philosoph ohne weiteres die Hybris entwickeln, er könne Wesentliches auch zu fernöstlichen Religionen äußern, ohne sich vorher (wie etwa Albert Schweitzer, Heinrich Dumoulin, Helmut von Glasenapp, Gustav Mensching,  Friedrich Heiler  oder Lothar Hoffmann, der deutschstämmige Lama Anagarika  Govinda) eingehend mit dem Gegenstand der Untersuchung zu beschäftigen. Ähnliches gilt für manchen Journalisten, der im Laufe seines Berufslebens nur allzu leicht zu der  Auffassung gelangt,  in unendlich vielen Bereichen Gültiges zu formulieren zu können, auch wenn er in der jeweiligen Materie bestenfalls mit halben Erkenntnissen bewaffnet ist. 

Im Jahr 1989 veröffentlichte Peter Sloterdijk, der Hans Dampf unter den lebenden deutschen Philosophen, sein Buch „Eurotaoismus“,  dem vor allem zu entnehmen war,  dass er vom Taoismus nur wenig verstanden hatte. Und in der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung vom 5./6. April 2008 meinte Willi Winkler, den Dalai Lama samt dem tibetischen Buddhismus auf einem Niveau angreifen zu können, demgegenüber  der deutsche Stammtisch und BILD geradezu erlesene Foren sind.

Ersichtlich bar jeder einschlägigen Kenntnis behauptete Herr Winkler, es handele sich beim  tibetischen Buddhismus  um eine „windelweiche Religion“, ein „weltgeistlich und zugleich jenseitig brimborierendes Ommanepadmehum“. Denken müsse dabei keiner mehr, Denken mache alt und faltig. Hätte Herr Winkler sich jemals wirklich mit dem tibetischen Buddhismus und seinen philosophischen Grundlagen befasst, wäre sein Denkvermögen erheblich strapaziert worden. 

Nicht überzeugender sind Winklers Aussagen zum 14. Dalai Lama selbst: Er meint „durch ein dubioses Ritual“ sei Tenzin Gyatso „als Gott entdeckt“ worden. Dubioses Ritual?  Entscheidet Herr Winkler das? Hat er die maßgeblichen Umstände überprüft? Ist er gar dazu berufen, wesentliche Bestandteile der Reinkarnationslehre des tibetischen Buddhismus in Frage zu stellen?  Überdies: Als Gott entdeckt? Nichts ist dem tibetischen Buddhismus fremder. Dalai Lama ist der Titel der höchsten weltlichen Autorität der Tibeter und zugleich einer der bedeutendensten religiösen Titel des tibetischen Buddhismus. Im tibetischen Buddhismus ist ein Dalai Lama ein erleuchteter  Mensch, der sich  entschlossen hat, im Wege der Reinkarnation wieder in die gewöhnliche menschliche Existenz einzutreten, um anderen Wesen zu dienen, obwohl er als erleuchtetes Wesen den Kreislauf der Wiedergeburten hätte verlassen können!  

Als Mensch sieht auch  Herr Winkler den Dalai Lama, aber auf seine besondere Weise. Er meint, der Dalai Lama sei „doch nur ein Mönch, wenn auch einer, der vor den globalen Kameras aufs Laufband steigt, um den göttlichen Leib für den Fall zu stählen, dass es mit der nächsten Inkarnation doch nicht klappen sollte.“ Mit welchem Recht unterstellt Herr Winkler  hier einem der höchsten Repräsentanten des tibetischen Buddhismus mangelnde Überzeugung von wesentlichen Grundsätzen seiner Religion?   Und: Warum in aller Welt sollte der Glaube an die Reinkarnation damit unvereinbar sein, dass der Dalai Lama sich im Bewusstsein seiner aktuellen  Aufgaben um eine ausgedehnte Dauer seiner derzeitigen Existenz bemüht?  Und was schließlich sollte hier „nicht klappen“ können? Nochmals: Ein  Dalai Lama ist nach tibetischer Vorstellung ein Erleuchteter, der ohne Reinkarnation ins Nirwana eingeht, es sei denn, er beschließt es anders. Und wäre er nicht erleuchtet,  folgte daraus nach buddhistischem Glauben die Reinkarnation  zwingend. Aus dem gleichen Grund liegt Herr Herr Winkler schief, wenn er an anderer Stelle meint, der 14. Dalai Lama könne  noch weiter in „Richtung Nirwana“ reinkarnieren.  

Aber es geht Herrn Winkler ersichtlich gar  nicht um Sachlichkeit.  Wenn der Dalai Lama Grundbedingungen der menschlichen Existenz und Ursachen für das Leid des Menschen  auf einfache, allgemein verständliche Weise benennt, zum Beispiel die Tatsachen, dass es dem Gierigen eben nie genug ist (d.h. Wünsche der Grund für Leiden sind), und Güte und Friedlichkeit für den inneren Frieden unentbehrlich sind, macht Herr Winkler sich nur darüber lustig: „Derlei stand früher auf der Rückseite des täglichen Blatts im Kalender der Raiffeisenkasse. Der war aber umsonst und deshalb nichts wert.“

Genau das ist das Problem, allerdings in einem anderen Sinne als von Herrn Winkler gesehen. Alles westliche Denken hat es nicht zuwege gebracht, den „homo sapiens“ zur Güte, Freundlichkeit, Bescheidenheit und Gewaltlosigkeit zu erziehen. Ein wesentlicher Grund dafür liegt schlicht darin, dass Denken allein den Menschen nicht verändert. Dazu bedarf es der ganzen Person  einschließlich ihres emotionalen Gefüges – überdies nicht nur der Lehre, sondern auch des Vorbildes. Es ist kein Zufall, dass der Buddhismus – wie historisch unschwer zu belegen – hinsichtlich der Herzensbildung wesentlich bessere Ergebnisse erzielt hat als das Christentum und die anderen monotheistischen Religionen. Gewiss haben auch die christlichen Kirchen die Nächstenliebe gelehrt, aber sie haben – unter anderem durch ihre Intoleranz – allzu sehr das Gegenteil praktiziert und den von ihnen postulierten Fortschritt des Menschen damit selbst wieder einkassiert.  

Nun ist da endlich wieder einmal  ein Großer in der Welt, der Brüderlichkeit, Freundlichkeit, Bescheidenheit  und Gewaltlosigkeit auch unter schwierigsten Bedingungen nicht nur lehrt, sondern auch vorlebt, und dazu noch so öffentlichkeitswirksam agiert, dass er vielen Millionen Menschen ein überzeugendes Vorbild geworden ist – und Zeitgenossen,  die Denken und Wissen einschließlich der klassischen Bildung offenbar als Anker ihres Daseins  ansehen, verstehen nichts und suchen ihn polemisierend herabzusetzen. 

Nicht zufällig beschließt Herr Winkler seinen Artikel mit der Bemerkung: „Der Himmel ist nichts für denkende Menschen.“ Warum eigentlich nicht? Jemand wie Herr Winkler müsste „nur“ erkennen, dass alles Wesentliche im Menschenleben ganz einfach  und mit Denken und  Wissen allein nicht erreichbar ist. Laotse hat das im Tao Te King wie folgt formuliert:

„Wissen führt zur Mehrung
Wesen führt zur Minderung
Es mindert Minderung
Bis erreicht ist Nicht-Tun.
So wird alles Wesentliche getan.
Nicht -Tun erreichen
Heißt Himmel und Erde zu eigen bekommen.
Erschlossen Allem
Durchdringt ihn Alles.
Alles durchdrängend
beschließt er Alles.
Wer da Tun hat
Dem verschließen sich Himmel und Erde.“

Jack London hat es einfacher ausgedrückt:  „Eine Stunde Liebe ist mehr wert als ein Jahrhundert Wissenschaft“. Derlei Botschaften müssen dem ach so sehr ins Denken verliebten Herrn Winkler grauenvoll erscheinen. Er misst nur nach seinem kargen Maßstab. Es verlangt eben Mut, die selbst gesetzten Grenzen zu überschreiten. 
 

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