Rufer in der selbst geschaffenen Wüste

21. Juli 2009 | Von | Kategorie: Mikroskop

 

In der letzten Wochenendausgabe der  Süddeutschen Zeitung schrieb Bundesfinanzminister Peer Steinbrück:

 

„Es liegt an uns, ob wir der der Renaissance der Zügellosigkeit nur staunend zusehen, oder ob wir zu einer Wertegemeinschaft zusammenfinden aus Kirchen, Zivilgesellschaft, Politikern, Verbänden und Gewerkschaften, die in Verantwortung für alle Menschen handelt.

 

Ich hoffe, dass …. in unserer Gesellschaft der Konsens darüber wächst, dass dieselbe Ideologie, die uns in die Krise geführt hat, uns nicht wieder aus der Krise herausführen kann. Entfesselte Märkte …… sind kein Schicksal, sondern gewollt oder ungewollt.

 

Wir brauchen deshalb eine Wertegemeinschaft in unserem Land, die den Menschen und das Gemeinwohl ins Zentrum ihres Denkens und Handelns stellt, und die Herausforderungen optimistisch angeht: Optimistisch, dass wir die Kraft zur Überwindung der Krise haben, und optimistisch, dass wir genau jetzt die Voraussetzungen schaffen können, dass sie sich nicht wiederholt.

 

Die ersten politischen Schritte sind getan. Aber der Kampf gegen die Kräfte der Restauration hat erst begonnen. …..  Deshalb müssen sich jetzt alle gesellschaftlichen Kräfte in einem Bündnis gegen die Renaissance der Marktgläubigkeit zusammenschließen. Wenn das passiert, dann hätte diese Krise wirklich einen Sinn gehabt.“

 

Peer Steinbrück verdient unser  Mitgefühl.

 

Zunächst: Es waren Herr Steinbrück und sein Vorgänger als Bundesfinanzminister Eichel, die den Weg für die folgenschwere Liberalisierung der Kapitalmärkte ebneten, und es war nicht zuletzt Herr Steinbrück, der sich – gegen den Widerstand der EU –  mit Erfolg dafür einsetzte, die staatlichen Garantien für die Landesbanken zu verlängern, ohne zugleich für deren effektive Kontrolle Sorge zu tragen.

 

 

Und es ist Herr Steinbrück, der zuschaut, wie  bereits wieder  die bewährte Zügellosigkeit um sich greift:

 

Nennenswerte Änderungen der Verhaltensweisen, die uns die Finanzkrise beschert haben, lassen zumindest die deutschen Großbanken nicht erkennen. Die  Versuche,  erlittene Verluste schnellstens wieder auszugleichen,  produzieren  vielmehr  ein eher noch zügelloseres Vorgehen als zuvor, und die Managervergütungen erreichen bereits  wieder schwindellerregende Höhen.  Die unverändert zugrundeliegende  Ideologie der Investmentbanker  („nach mir die Sintflut“)  führt  aus Finanzkrisen nicht heraus, das überlassen Poitik und Wirtschaft „systemisch“ dem Steuerzahler. Sie führt nur in sie hinein. Und die nächste Krise kommt gewiss.

 

Die von Herrn Steinbrück erwähnten „ersten politischen Schritte“ sind demgegenüber   hilflose Hopser auf der Stelle. Mehr wird eine Politik, die nach  jahrzehntelanger Selbstdemontage allzusehr zum verlängerten Arm des wirtschaftlichen Lobbyismus verkommen ist, auch nicht mehr auf den Weg bringen können.   

 

Die von Herrn Steinbrück herbeigesehnte  „Wertegemeinschaft“ wäre in unseren Zeiten andauernder Wahlen einschließlich der damit einhergehenden, opportunistisch-populistischen Passivität  unserer  Politikdarsteller  die einzige denkbare Grundlage für ein politisches Aufbäumen. Immerhin dies erkennt Herr Steinbrück präzise.

 

Diese Gemeinschaft  aber existiert so wenig, dass ein „Bündnis gegen die Renaissance der Marktgläubigkeit“ nicht mehr und nicht weniger als eine Phantasmagorie ist.  Dies gilt auch für die EU. Dort werden die  notwendigen Reformen konsequent durch die englische Regierung unterlaufen. Ist Steinbrück tatsächlich so naiv, an eine solche Wertegemeinschaft zu glauben?  Eher verbreitet er Wahlkampfgeklingel für den Stammtisch.  

 

Bei näherem Hinsehen sind die zitierten Zeilen des Herrn Steinbrück ein trauriges Dokument der selbst gewählten Hilflosigkeit einer Politikerkaste, die sich allzu lange primär um Pöstchen und Pfründe bemüht hat und nun vor den Scherben ihres hartnäckigen  Verzichts darauf steht,  „in Verantwortung für alle Menschen“  zu handeln. Zu den  „entfesselten Märkten“ hat die Politik erheblich beigetragen, und ihr fehlen – national wie international –  schlicht der Wille und die Kraft, die Märkte immerhin jetzt an die Kette zu legen und so die  nächste Krise zu verhindern. 

Merke: Wo das Rettende ist, wächst Gefahr auch.   

 

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