Kostspielige Placebos mit Nebenwirkungen

5. März 2008 | Von | Kategorie: Mikroskop

Nach Schätzungen deutscher Ärzte leiden vier bis acht Millionen Deutscher unter Depressionen; andere gehen sogar von erheblich höheren Zahlen aus. Die Fachwelt unterscheidet zwischen leichten und mittleren Depressionen einerseits und schweren Depressionen andererseits. Normale Traurigkeit, zum Beispiel über den Verlust eines Menschen, ist selbstverständlich noch keine Depression. Die Pharmaindustrie und die Psychiatrie haben  diesen Grenzzaun jedoch gründlich eingerissen.  In ihrem Buch „The Loss Of Sadness“ haben zwei US-Forscher beschrieben, wie aus normaler Traurigkeit systematisch Depression gemacht worden ist.   Nach der Einführung der Antidepressiva vom Typ SSRI in den achtziger und neunziger Jahren hat sich die Zahl der in den USA wegen Depressionen Behandelten in nur 10 Jahren auf 6,3 Millionen  fast vervierfacht!

Das unbedingte Interesse der Pharmaindustrie daran, ihre Medikamente abzusetzen, wird auch  im Bereich der Therapie durchgesetzt. Leichte und manchmal auch mittlere Depressionen können häufig mit psychotherapeutischen Methoden und pflanzlichen Mitteln wie Johanniskraut behandelt werden. Aufgrund intensiver Werbung der  Hersteller werden jedoch auch in diesen Fällen allzu oft chemische Antidepressiva verschrieben und eingenommen. Peter Henningsen, Direktor der Klinik für Psychosomatik an der Technischen Universität in München, dazu im Interview (Süddeutsche Zeitung vom 05.03.08) auf die Bemerkung  des Interviewers, Kritiker bemängelten, es würden zu viele Antidepressiva verschrieben: „Wie die Medikamente eingesetzt werden, hat zum großen Teil mit Marketing und weniger mit Wissenschaft zu tun…“

Der Nutzen der Medikamente gegen Depressionen ist seit langem umstritten, zumal die Pharmaindustrie einen beachtlichen Teil  der Studien über die Wirkung dieser Mittel nie veröffentlicht hat. Es ist ein Unding, dass die klinischen Studien, die Voraussetzung für die Zulassung von Medikamenten in Deutschland sind, nicht auf Kosten der Pharmaunternehmen vom Staat in Auftrag gegeben werden,  sondern von  den Pharmaunternehmen selbst. Auf diese Weise erhalten die Pharmaunternehmen  allzu großen Einfluss auf den Inhalt der Studien (wer zahlt, schafft nun einmal an) und  können auch allein  entscheiden, welche Studien  schließlich im Zulassungsverfahren verwendet und veröffentlicht werden. Dieses System  eröffnet Tür und Tor für Manipulationen.    

Soeben haben Forscher in einer großen Untersuchung bezweifelt, dass die Wirkung der neueren Antidepressiva vom Typ SSRI wie Prozac, das weltweit  von rund 40 Millionen Patienten (!) eingenommen wird, bei leichten und mittleren Depressionen nennenswert über die von Placebos hinausgeht. Allerdings ist allein diese Placebo-Wirkung unbestritten erheblich. Prompt haben namhafte deutsche Psychiater die Studie kritisiert, weil sie die Patienten verunsichere, was Menschenleben kosten könne.

Dass diese Placebos teuer bezahlt werden müssen und das ohnehin überforderte deutsche Gesundheitssystem  jährlich  Unsummen kosten, blieb dabei – auch in der Süddeutschen Zeitung – ebenso unerwähnt wie die Frage, wie viele Menschenleben denn den gängigen Antidepressiva zum Opfer fallen. Nebenwirkungen von Medikamenten gehören bekanntlich zu den wesentlichen Ursachen für den Tod derjenigen, die sie einnehmen.  Auch die Nebenwirkungen der Antidepressiva sind beträchtlich; einige davon können  in dem offenbar recht sachverständigen Artikel über „Antidepressiva“ bei Wikipedia nachgelesen werden. Danach erhöhen die Antidepressiva  der älteren Generation das Krebsrisiko, und bei den neueren Medikamenten droht Männern unter anderem die „erektile Dysfunktion“. Dass Impotenz  zur Stimmungsaufhellung  männlicher Patienten geeignet ist, darf bezweifelt werden. Die Pharmaindustrie allerdings hält auch dagegen selbstverständlich wieder teure Medikamente bereit, die dann wieder andere Nebenwirkungen haben….

Vor einiger Zeit bekannte Horst Seehofer (CSU) im Fernsehen, die Politik könne sich gegen die Pharmaindustrie nicht durchsetzen – ohne dass dies  den verdienten Sturm der Entrüstung  in der Öffentlichkeit oder gar politische Initiativen auslöste. Weit ist es mit unseren Politikern und Medien gekommen.   

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