Dieser – bei der Berlinale 2008 mit einem Silbernen Bären ausgezeichnete – Film ist weniger eine „Komödie“ (Susan Vahabzadeh, SZ) oder eine „Tragikkomödie“ (Christian Buß, SPIEGEL ONLINE) oder gar ein „Drama“ (so das Traum-Kino in Kiel) als eine gelungene Darstellung großer Lebenskunst. Dabei verzichtet Leigh auf einen Plot im klassischen Sinne. Gezeigt werden lediglich Ereignisse aus ein paar Wochen im Leben der 30-jährigen, unverheirateten Grundschullehrerin und Fahrschülerin Poppy (großartig: Sally Hawkins). Mit einer Hauptfigur, die innerlich frei ist, ohne Fassaden und ohne Ängste, die sich – weit entfernt von jeglichem „Helfersyndrom“(so aber Christian Buß) – voller Mitgefühl für andere einsetzt und traurig wird, wenn sie feststellen muss, dass sie nicht helfen kann oder gar selbst Unglück in die Welt gesetzt hat, das sie nicht mehr beseitigen kann.
Poppy, deren Kleidung ihrem Namen alle Ehre macht, hängt nicht an Geld & Gut: Als ihr Fahrrad gestohlen wird, bedauert sie primär, dass sie sich von ihm nicht verabschieden konnte. Sie will keine eigene Immobilie abstottern, da sie ihre Freiheit bewahren möchte. Und sie kann herrlich genießen: Als sie einen sympathischen jungen Schulpsychologen kennen lernt, erlebt der Zuschauer schon bald danach eine rührend unverkrampfte Sex-Szene.
Aber es sind vor allem die andersartigen Begegnungen mit anderen Menschen, in denen Leigh Poppy´s wunderbare Eigenschaften indirekt spiegelt: Ein muffeliger Buchhändler, den auch Poppy´s kecke Hinweise auf seine Misere nicht zu einem Lächeln bewegen. Eine Flamenco-Lehrerin, der ihr Unterricht zu einer Demonstation des Zorns über den Verflossenen missrät. Poppy´s Schwestern, von denen die jüngere auf das Leben chronisch aggressiv reagiert und die nur wenig ältere – bereits heillos eingemauert in die Ehe mit einem gehorsamen Schwächling, in ihre Schwangerschaft, in ein schrecklich spießiges Eigenheim und die Altersvorsorge – sofort in defensive Aggressivität verfällt, als sie spürt, dass es ihr nicht gelingt, Poppy von alledem zu überzeugen. Ein alter Penner, dem sich Poppy – in der einzigen etwas aufgesetzt wirkenden Sequenz des Films – mutig nähert, um ihm zu helfen, für den es aber keinen Ausweg aus seiner Verzweiflung mehr gibt. Vor allem aber Poppy´s Fahrlehrer (beeindruckend: Eddie Marsan) ist es, der ihre Qualitäten zeigt: Ein im Gegensatz zu ihr frustrierter Zeitgenosse, der vergeblich in starren Regeln seines Berufs Halt sucht, und der sich durch seine persönliche Unzufriedenheit – auch über seine unerwiderten Gefühle Poppy gegenüber – zu wilder Systemkritik verleiten lässt.
Am Ende des Films ist viel geschehen – und doch hat sich wenig geändert. Das Menschenleben ist noch immer ein ständiger Wechsel zwischen auf und ab, und man zweifelt nicht daran, dass Poppy sich auch weiterhin mit großer Lebensfreude, aber auch mit ihrer beachtlichen Disziplin, ganz unverstellt darauf einlassen wird, ob nun aus der Beziehung zu dem Schulpsychologen mehr wird oder nicht. Der Titel „Happy-Go-Lucky“, der Oberflächlichkeit suggeriert, ist nach allem eher irreführend. Hier wird ein Mensch gezeigt, der die Höhen und Tiefen des Lebens mit beachtlicher Stärke durchlebt und dabei stets klar und authentisch bei sich bleibt, ohne anderen die Verantwortung für ihr eigenes Dasein zuzuweisen.
Man verlässt das Kino und hat noch eine Weile Denk- und Gesprächsstoff. Dies unterscheidet den Film von dem, was üblicherweise aus den USA herüberschwappt. Hier wird man nicht von denkfauler Sentimentalität mit obligatorischem Happy End betäubt, sondern intensiv vom Leben berührt und angeregt, den eigenen Lebensentwurf und -weg zu hinterfragen.
Selbstverständlich kann man den Film auch anders einstufen als hier skizziert; wie üblich bestimmt der von Kindheit und Entwicklung beeinflusste Standort des Betrachters den Erlebnishorizont. Ansehen sollte man sich „Hapy-Go-Lucky“ aber in jedem Fall.