Bedrohte Artenvielfalt: Der deutsche Arbeiterdichter

27. Mai 2008 | Von | Kategorie: Boskop

Was hilft es, dass sich die Grüne Meeresschildkröte in Costa Rica erholt, wenn gleichzeitig der deutsche Arbeiterdichter vom Aussterben bedroht ist? Diese Frage stellte sich am letzten  Wochenende  das vom WWP (World Wide Fund for Poetry) organisierte „Dortmunder Symposion“.

In einem viel beachteten Grundsatzreferat teilte Professor Walter Sczepanski (Universität Gelsenkirchen) mit, die Grüne Meeresschildkröte sei ihm „eher wurscht“, da sie im Revier  ohnehin „noch nie aufgetaucht“ sei. Was allerdings den deutschen Arbeiterdichter angehe, könne es so nicht weitergehen, denn wenn es so weitergehe, gehe es nicht mehr lange weiter. Die wenigen noch vorhandenen Zechen und Industriebetriebe im Ruhrgebiet produzierten dies und das, aber keine Arbeiterdichter mehr. Wer heute unter Tage oder in einem Stahlwerk arbeite, sei der deutschen Sprache kaum noch mächtig. „Der Türke dichtet bestenfalls ab, und die Zeche zahlt die deutsche Kultur!“, rief Sczepanski schrill ins Auditorium, was den deutschen Migrationsbeauftragten des WWP sichtlich in Verlegenheit brachte.

Hier ergriff Willi Taumvatta, Pressesprecher der Dortmunder NGO  „Initiative Lyrik und Currywurst“, das Wort und führte aus: „Aufgrund der chronischen Überfischung der Emscher und  des Niedergangs der Dortmunder Brauereien  fehlen den letzten Arbeiterdichtern ihre natürlichen Lebensgrundlagen.  Max von der Grün ist bereits tot, und auch dem 1929 geborenen Kurt Küther wird es langfristig kaum besser gehen. Dann ist der deutsche Arbeiterdichterwald im Wesentlichen gerodet, und wir haben nur noch Ewald Vögelken aus Herne.“ Dieser, fügte Taumvatta hinzu, leide allerdings bereits unter einer gewissen Vereinsamung, die ihn an seinem bestimmungsgemäßen Talent zweifeln lasse.

Kaum hatten die Redner die Anwesenden auf diese Weise in Wehmut und Trauer  versetzt, kaum benetzten die ersten Tränen den Saalboden, da schlurfte auch schon Vögelken selbst auf die Bühne, murmelte ein müdes „Tachauch“ und trug mit belegter Stimme sein neuestes Gedicht vor:

„HömmaDo!

Ich stamme aus Herne
Und dichte nicht gerne.
Mir fehlen die Keime
gelungener Reime.
Bin einfach zu schlicht,
ein Hirnrindenwicht.
Noch weit in der Ferne,
zum Beispiel in Werne,
stamm´ ich aus Herne
und dichte nicht gerne.
Mir fehlen die Keime
gelungener Reime.
Bin einfach zu schlicht, …“,

und so ging es schlaufenartig immer weiter. Nach einer Stunde atmete Vögelken schwer und bat um ein Glas Wasser. Drei Stunden später entstand Unruhe im Auditorium, die auf einen gewissen Stimmungsumschwung hindeutete. Kurz vor der Vollendung der siebten Stunde flog eine Bierflasche in Richtung Rednerpult, die Vögelken zwar verfehlte, Sczepanski aber eine heftig blutende Platzwunde auf der Stirn zufügte. Der Tumult, der daraufhin ausbrach, war so unbeschreiblich, dass er hier unmöglich beschrieben werden kann.

Kein Zweifel: Mit dem deutschen Arbeiterdichter ist die Artenvielfalt nicht weniger bedroht als der Braunbär oder das Europäische Bison. Das nächste Symposion des WWP zur Arbeiterdichtung findet denn auch in Beijing oder in Delhi statt.

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