de profundis

31. Oktober 2010 | Von | Kategorie: Teleskop

Wie die Presse unlängst  knapp vermeldete, hat das Landesarbeitsgericht Köln bereits im November 2009 entschieden, ein Beerdigungsunternehmer dürfe  seinem Angestellten als vereinbarten, nicht näher beschriebenen „Dienstwagen“ keinen Leichenwagen vor die Tür stellen (Az: 7 Sa 879/09). Da fragt man sich  verwundert: Warum nicht? Fährt ein  solcher Wagen  schlechter? Bietet er  weniger  Platz? Regnet es von oben etwa hinein? Und bevorzugen die Deutschen nicht ohnehin seit Jahrzehnten Fahrzeuge in leichenwagenschwarz? Angesichts dieser Fragen sucht man  die Urteilsbegründung  und findet dieses:    

 

„Den Anspruch des Klägers auf Überlassung eines Dienstfahrzeugs zur auch privaten Nutzung  kann der Beklagte allerdings nicht dadurch erfüllen, dass er dem Kläger einen sog. Leichenwagen zur Verfügung stellt. In Anbetracht des Stellenwerts eines solchen Fahrzeugs in der allgemeinen Verkehrsanschauung ist es dem Kläger nicht zumutbar, ein solches Fahrzeug für sich und seine Angehörigen in seiner Freizeit privat zu nutzen. Dies bedarf zur Überzeugung des Berufungsgerichts keiner näheren Vertiefung.“

 

Nun mag es ja sein, dass es zur Überzeugung der  Richter keiner näheren  Vertiefung bedurfte, aber sollte die Begründung eines Berufungsurteils nicht auch geeignet sein, das  Volk zu  überzeugen, in dessen Namen es gesprochen wird? Stattdessen liefert sie nicht mehr als die Leerformel eines „Stellenwerts … in der allgemeinen Verkehrsanschauung“, und wir stellen schon wieder Fragen. Warum hat  ein Leichenwagen  einen negativen Stellenwert? Sollen die Angehörigen den  Gestorbenen lieber  im Bollerwagen oder gar über die Schulter gelegt zum Friedhof  befördern? Ist der allgemeinen Verkehrsanschauung etwa unbekannt, dass Wandel, Veränderung und Vergänglichkeit zum Leben gehören wie Fußschweiß, jeder Mensch als  geborener moribundus grüßt und Lebenskunst nicht zuletzt darin besteht, gelassen die Suppe des Unabänderlichen auszulöffeln?

 

Und was spricht dagegen, einen Leichenwagen auch in der Freizeit – ohne Leiche, aber mit Angehörigen an Bord – zu bewegen?  Fehlende hintere Sitze eines solchen Gefährts   können ohne weiteres   durch einen gepolsterten Sarg ersetzt werden, der zum Verstauen der  Kinder oder der  Ehefrau  bestens geeignet ist. Die letztere  zuckt dann nicht mehr  als Beifahrerin  nervös herum,  zumindest zuckt  sie weiter  hinten, und notfalls kann man beruhigend den Deckel auf sie legen.  Überdies  ist Sex im offenen Sarg ein nicht zu unterschätzendes Stimulans, das – als neue Verkehrsanschauung – manche erkaltete Beziehung wieder befeuern kann.

 

Auch die Wirkung eines Leichenwagens auf andere ist nicht zu unterschätzen. Wer beim  Geburtstagsfest eines älteren Herrn im Leichenwagen vorfährt,  dem ist Aufmerksamkeit gewiss. Immerhin sind Leichenwagen eine Mahnung, die Endlichkeit des eigenen Daseins nicht länger zu verdrängen, sich   der Gegenwart zu widmen  und diese aus vollen Zügen zu genießen, statt andauernd   Vergangenes zu beklagen und Angenehmes festhalten zu wollen. Der zutreffende Satz, man solle jeden Tag so leben, als sei es der letzte, muss ins Leere laufen,wenn man den Tod verdrängt. Mehr noch: Würden die Geld- und Machtgierigen unserer Zeit sich wirklich klarmachen, dass sie schon bald das letzte Hemd tragen werden, bliebe der geplagten Menschheit wohl manches erspart.

 

Aber von derlei  Erwägungen und  der  dem entschiedenen Fall innewohnenden Komik  waren die Richter, denen die Botschaften des Monty Python´s Flying Circus vermutlich  nie zu irgendeiner Überzeugung gereichten, weit entfernt; Humor, erst recht im schwarzen Gewand, war ohnehin noch nie ein Markenzeichen der deutschen Justiz, woran sich  seit den Zeiten Kurt Tucholskys nichts geändert hat.  Nein, die Richter unterwarfen sich wortkarg und unvertieft  dem zählebigsten & unsinnigsten  westlichen Tabu, dessen Name Tod lautet.  

 

Dass man mit dieser conditio humana auch anders umgehen kann, zeigt eine weitere Pressemeldung aus neuerer Zeit: Die Lien-Stiftung in Singapur, die sich seit langem mit dem Thema Leben und  Tod beschäftigt, hat Altenheim-Bewohner mit Erfolg dazu animiert, ihre eigenen Särge zu entwerfen –  die bezeichnenderweise durchweg fröhlich ausfielen.  „Wir verwandeln  den Sarg von einem Symbol der Angst, Furcht und Trauer in eine Leinwand für  Inspiration und Besinnung, um das Leben zu feiern“, sagte Stiftungschef Lee Poh Wah.

 

So weit sind wir bedauerlicherweise in Deutschland wohl noch lange nicht, was auch daran abzulesen ist, dass allzuviele zögern, nach  der  Abgabe des besagten Suppenlöffels ihre Organe zu spenden, also den enstprechenden Ausweis bereits zu Lebzeiten auszufüllen und bei sich zu tragen.  Wer voller Furcht ist,  kann  anderen  eben nur wenig geben.

 

Dem Landesarbeitsgericht Köln sei einstweilen empfohlen, in zukünftigen gleich gelagerten Fällen vergleichsweise den Einsatz eines Leichenanhängers (siehe Abbildung) vorzuschlagen. Dieser kann in der Freizeit  hervorragend auf Campingplätzen eingesetzt,  bei psychischer Überforderung der Beteiligten aber auch jederzeit abgehängt werden.

Kommentare sind geschlossen