Wegelagerer

7. Dezember 2018 | Von | Kategorie: Teleskop

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Wer seit dem Sommer 2018 das freie Spiel der Kräfte in Deutschland genießen wollte, musste nur mit dem Auto  zum Tanken fahren. In der Zeit vom Januar bis zum Oktober stieg der  Preis für Diesel in den südlichen Bundesländern –  gleichermaßen bei allen Tankstellen am jeweiligen Ort –  auf sagenhafte Euro 1,50 pro Liter.  Dieser Preis wurde zuvor nur einmal erreicht, im Jahr 2012; damals  kostete das Fass Rohöl (Brent) aber 122 US-Dollar,  am 4. Oktober 2018 jedoch nur rund 86 US-Dollar! Jeder Versuch, bei anderen Tankstellen auf nennenswert günstigere Angebote zu stoßen, war wie üblich vergeblich: Die  wenigen Anbieter von Sprit, die seit jeher die Preise im Wesentlichen übereinstimmend festlegen und zu jeder Zeit horrende Gewinne aus dem Verkauf einfahren,  sorgten zuverlässig  dafür, dass auch die Euro 1,50 nirgendwo nennenswert  unterboten wurden.

Zur Rechtfertigung ihrer Preisorgie argumentierten die Oligopolisten im Wesentlichen, der Transport in den Süden habe sich wegen der niedrigen  Pegels  der Flüsse erheblich verteuert.  Warum der Preis für den Liter Sprit aber um so viel  zulegte und  seltsamerweise im noch südlicheren Tirol zu jeder Zeit  wesentlich niedriger war, blieb offen.

Nun gehört Sprit bekanntlich zu den Versorgungsgütern, auf die viele  schwerlich verzichten können, und hohe Energiepreise wirken generell verheerend  auf  die weniger Betuchten, also auf die ganz große Mehrheit des Volkes.  Trotzdem oder gerade deswegen   scherte das Ganze die  Politik nicht und die wirtschaftlich erfolgreichen Medien kaum.  Die ach so investigative Süddeutsche Zeitung blieb  – wie die Politik und wieder einmal das Kartellamt  –  ganz still. Andere Gazetten wie der Focus gaben lediglich die Verlautbarungen des Oligopols wieder und  überboten sich in Hinweisen auf die Möglichkeit, die örtlichen Preise  insbesondere per App zu prüfen – als ob dies die Verbraucher spürbar entlasten  könnte. Auch der ADAC enthielt sich jeder Kritik.

Das Grundgesetz des Kapitalismus besteht bekanntlich nur aus  einem Artikel, der da lautet: „Bereichert Euch  wie nur eben möglich und lasst Euch bei gesetzwidrigem Vorgehen nicht erwischen.“ (nur gegen letzteres haben die Autohersteller im Lichte dieses Kanons beim Dieselskandal verstoßen).  Und so kam es, dass die  Mitglieder des Sprit-Oligopols die Hinnahme der unmäßig hohen  Spritpreise durch die Deutschen zum Anlass dafür nahmen, zu einem noch frecheren Schlag auszuholen. Obwohl  sich Rohöl ab dem 5. Oktober wesentlich verbilligte,  ließen sie die Spritpreise lange unverändert.  Seit einiger Zeit kostet das barrel Rohöl (Brent) nur noch rund 60 US-Dollar, was in früheren Jahren  Dieselpreise von ca. 1,10/Liter zur Folge hatte,  Trotzdem verlangt das Oligopol für den Liter  beispielsweise  in München noch immer   1,42 bis 1,44 Euro.  Lediglich am Vormittag melden  einige  Tankstellen neuerdings – ganz offensichtlich,  um den Schein von Wettbewerb zu wahren – für ein oder zwei Stunden um  3 bis 4 Cent ermäßigte  Preise.

Und was tut die Politik, was das Kartellamt? Nichts. Geht zumindest ein Aufschrei durch die Presse? Mitnichten. Noch immer schweigt sich beispielsweise die Süddeutsche Zeitung gründlich aus. Nicht einmal das ansonsten wache, linke Wochenblatt  „der Freitag“ des Jakob Augstein widmet sich dem Thema. Lediglich der ADAC hat sich zu der Erklärung durchgerungen, die Preise seien inzwischen “überzogen“.

Einer der Gründe für diese erneute Zurückhaltung mag darin liegen, dass manch einer es still begrüßt, wenn in Zeiten ohnehin steigender Luftverschmutzung und eines immer bedrohlicheren Klimawandels weniger mit dem Auto gefahren wird. Aber  dieses Ergebnis sollte wahrlich anders erreicht werden, beispielsweise durch eine Verbilligung der Nutzung  öffentlicher Verkehrsmittel und die Instandsetzung sowie Erweiterung der Radwege, auch  zu Lasten des Verkehrs der   Kraftfahrzeuge, woran es  viele andere Städte wie München noch immer allzu sehr fehlen lassen. Es besteht beim besten Willen kein Grund dafür, stattdessen schlicht zuzusehen, wie die Sprit-Oligopolisten  die Bevölkerung  ausrauben  und damit  ihren Aktionären mit der Beute noch mehr als gewohnt  die Taschen füllen. Dies umso mehr, als die Mehrheit der Betroffenen  auf die Nutzung ihrer Kraftfahrzeuge angewiesen ist, woran jeder  Boykott der Tankstellen  – wie unlängst  qua Internet versucht –  scheitern muss.

Die rechtlichen Mittel gegen die Ausbeutung der Autofahrer wären durchaus vorhanden, wenn die vorhandenen Normen nur enger und sachgerechter  ausgelegt   würden als bisher. Gemäß § 1 des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gilt:

„Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.“

Vereinbarungen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit nach der Systematik des bürgerlichen Rechts weder der Schriftform noch der Ausdrücklichkeit; es genügt konkludentes Verhalten. Aber Vereinbarungen der Anbieter sind ja nicht einmal nötig: Ausreichend sind vielmehr „aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen“, die hier fraglos seit langem gegeben sind.  Die Oligopolisten  argumentieren seit jeher, ihr Vorgehen basiere nicht auf Vereinbarungen oder auch nur abgestimmten Verhaltensweisen, sondern lediglich auf regelmäßigen Marktbeobachtungen ihrerseits,  die  angeblich wettbewerbskonform zur weitgehenden   Angleichung der  Preise führen.  Diese These  jedoch basiert auf einem perversen Verständnis von Wettbewerb, der darauf beschränkt ist, die  Preise  zu jeder Zeit  auf ein zumindest im Wesentlichen  übereinstimmendes, hohes Niveau zu heben. Ein  Wettbewerb, der diesen Namen verdient, und den Ludwig Erhard noch im Sinn  hatte,  würde jeden Anbieter veranlassen, zum Zweck der  Steigerung von Umsatz und Marktanteilen die Preise der Konkurrenz zu unterbieten. Es würde daher andauernd zu Preiskämpfen  mit der Folge eines insgesamt vergleichsweise niedrigen Preisniveaus kommen. Just das aber geschieht seit jeher aufgrund zumindest abgestimmter Verhaltensweisen eben  nicht, weshalb der § 1 GWB endlich gegen das Sprit-Oligopol nutzbar gemacht werden sollte.

Demgegenüber wurde die Anwendungsbereich des § 1 GWB, insbesondere durch das  deutsche Kartellamt, die Lehre und die Rechtsprechung derart bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, dass ein Eingreifen gegen die Einschränkungen des Wettbewerbs durch die Spritlieferanten de facto nur noch möglich wäre, wenn sich ein whistleblower finden würde, der das Vorhandensein der  Verstöße  gegen § 1 GWB bestätigt. Und selbst dann würden die vom Kartellamt verhängten Sanktionen – wie generell bei Kartellverstößen – erfahrungsgemäß die Vorteile weit unterschreiten, die von den Beteiligten aus ihrem normwidrigen Verhalten  erwirtschaftet wurden. Das deutsche Kartellrecht gilt nicht zufällig als „stumpfes Schwert“. Es ist seit langem Aufgabe der deutschen Politik, dies zu ändern und Kartellverstöße rigoroser zu verfolgen sowie  zu sanktionieren. Aber insoweit geschieht  wie  in vielen anderen Bereichen  nichts.

Die Politik hat sich auch insoweit fest in die Hände der Wirtschaft begeben. Nach der Konzeption  des deutschen Grundgesetzes sollten die Abgeordneten der Parlamente  aber die Lobbyisten des Volkes sein. Es ist höchste  Zeit, dass sie sich daran erinnern und entsprechend handeln. Anders als die Franzosen gehen die  Deutschen  ungern protestierend auf die Straße, vielmehr wählen sie  hässliche Gebilde wie seinerzeit  die NSDAP und nun die AfD. Würden die Auguren insbesondere  von CDU, SPD und FDP sich weniger um ihr persönliches Fortkommen und mehr um die Interessen des Volkes kümmern, sähen Gegenwart und Zukunft Deutschlands besser aus.

 

 

 

 

 

 

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