Die Welt befindet sich pausenlos in Bewegung Kaum hat man sich auf den neuesten Stand der Dinge eingerichtet, ist die ganze Justierung ist schon wieder für die Katz.
Jüngstes Beispiel ist die enorme Verteuerung der Lebensmittel durch das schamlose Oligopol der großen deutschen Lebensmittelhändler. Sie führt dazu, dass der gewohnte Einkaufswert eines Zehners trügt, ruiniert in vielen Fällen die Kasse des Verbrauchers und fordert bisweilen sogar buchstäblich den ganzen Menschen. So berichtete die Presse schon vor geraumer Zeit, ein junger Berliner habe einer Frau in den Hals gebissen, um von ihr zu essen
Dieser Lösungsansatz ist beileibe nicht neu, denken wir nur an die Expeditionen im ewigen Eis, bei denen zunächst die Schlittenhunde verzehrt und danach die Würfel zu Rate gezogen wurden, oder an die große Tradition des Kannibalismus im Allgemeinen, die der Menschenfresser von Rotenburg wieder belebte.
Allerdings reichen die Freiwilligen, die sich in den einschlägigen Internet-Foren preiswert zum Verzehr feilbieten, nicht annähernd dazu aus, der Krise gesamthaft die Stirn zu bieten, weshalb alle Bewohner Deutschlands nun davon ausgehen sollten, bei passender Gelegenheit verschmaust zu werden.
Die bevorstehende kannibalistische Welle wird vermutlich nicht einmal familiäre Beziehungen unangetastet lassen. Es ist kaum ein Zufall, dass der große neo-realistische, post-post-moderne Lyriker Ole Petersen aus Kleinmeinsdorf in Ostholstein unlängst das folgende Gedicht veröffentlichte:
Familienglück
Die Standuhr tickt,
die Oma strickt,
der Opa ist schon eingenickt.
Die Tochter, ebenso der Sohn,
Schau’n permanent ins smarte Phone.
Und in der nah geleg’nen Küche
verströmen würzige Gerüche.
Dort brät, die Lieben zu beglücken,
die Tante – mariniert in Stücken.“
Wortgewaltig schildert Petersen hier einen ethisch hochkomplexen Fall innerfamiliärer Speisung – ein Werk, das aufgrund seines versöhnlichen Feinsinns soeben für den begehrten CMA-Literaturpreis nominiert worden ist. Die Frage, ob die Gebratene frisch und zart auf den Tisch kam, dürfte für die Entscheidung der Jury keine entscheidende Rolle spielen.