Souverän ist anders

12. März 2017 | Von | Kategorie: Teleskop

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Seit langem war Angela Merkel und ihrem Kabinett bekannt, dass Recep Tayyip Erdogan und seine Minister beabsichtigten, durch Auftritte in Deutschland die hier lebenden türkischem Passinhaber von der geplanten Verfassungsänderung zu überzeugen. Die Türken im freien Deutschland folgen der AKP erfahrungsgemäß  mehr als ihre Landsleute in der Türkei, die unter den dortigen Menschenrechtsverletzungen zu leiden haben.

Die Bundesregierung hatte zwei Wege, darauf zu reagieren: Sie konnte die  Veranstaltungen unter Hinweis darauf unterbinden, angesichts der bereits vorhandenen Verletzungen der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei  könne Deutschland es nicht verantworten,  Beihilfe auf dem  weiteren Weg Erdogans zum Diktator zu leisten. Die Niederlande haben soeben gezeigt, wie man das macht. Oder sie konnte die Veranstaltungen zulassen, um zu verhindern, dass Erdogan ein  Verbot dazu nutzen würde, Deutschland zu verteufeln und damit die Zustimmung der in Deutschland lebenden Türken zu der Verfassungsänderung zu fördern.

In beiden Fällen war es Aufgabe der Bundesregierung, hinsichtlich der üblen Entwicklung in der Türkei seit dem ominösen  „Putsch“ und der Fragwürdigkeit der Verfassungsänderung klare Kante zu zeigen. Dazu hätte auch gehört, sich mit einer  er- und aufklärenden Rede an die rund 1,5 Millionen in Deutschland lebenden Türken zu wenden und ihnen damit endlich wenigstens einmal die Aufmerksamkeit zu widmen, die angesichts  ihrer noch immer allzu sehr ausstehenden Integration längst am Platze gewesen wäre.

Tatsächlich verfiel Merkel aber wieder einmal in ihre Haltung des zaudernden Nichthandelns; sie druckste wochenlang herum  und ließ die Minister Altmeier, Gabriel und neuerdings auch de Maiziere sowie Zypries im Wesentlichen schwächliche Besorgnisse über die türkischen Verhältnisse, die Bereitschaft  zum deeskalierenden Dialog mit der türkischen Führung äußern, und die Kanzlerin überließ es Gemeinden wie Gaggenau, die Reißleine zu ziehen.  Und selbst als Erdogan und seine Minister gewaltig aufs Blech schlugen und die Deutschen unter anderem als Nazis beschimpften, betonen  Altmeier & Co. seit jeher im Wesentlichen nur die Absicht, mit Erdogan im Gespräch bleiben zu wollen, als ob klare Worte über die Entwicklung  in der Türkei dem entgegenstehen würden. Ferner wiesen sie auf die Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland hin, als bedürfe die deutsche Bevölkerung einer solchen Erkenntnis. Und  Angela Merkel ließ doch tatsächlich  lediglich im Wesentlichen verlauten, die Nazi-Anwürfe seien traurig und inakzeptabel. Es gelang ihr nicht einmal, als Gegenleistung für den Verzicht auf Redeverbote die Freilassung des ohne jeden vertretbaren Grund inhaftierten deutsch/türkischen Journalisten Deniz Yücel zu erreichen. Dieses pure appeasement dient vermutlich nicht zuletzt  der deutschen Wirtschaft, deren  jährliche Exporte in die Türkei sich immerhin auf rund 24, 5 Milliarden Euro belaufen.

Schließlich war es  Norbert Lammert, der Merkel im Bundestag warten ließ, um unmissverständlich auszusprechen, worauf zuvor vergeblich gewartet wurde,  und das Bundesverfassungsgericht zeigte sicher nicht zufällig ungefragt die Machtfülle auf, die Merkel von Beginn an hatte. In beiden Fällen war das nicht weniger als eine peinliche Nachhilfe in Sachen Staatsführung.

Ersichtlich ist die Bundeskanzlerin vor allem bestrebt,  den unseligen Flüchtlingsdeal mit der Türkei und damit zugleich das Ergebnis der CDU in der nächsten Bundestagswahl nicht zu gefährden. Zugleich  versucht sie  händeringend, ähnliche  Vereinbarungen auch mit  nordafrikanischen Ländern abzuschließen, wodurch die Erpressbarkeit Deutschlands erhöht wird. Andererseits lässt Angela Merkel nennenswerte Aktivitäten gegen die Gründe der ja erst beginnenden Völkerwanderung auf  Weisung  der Wirtschaft vermissen; so werden mit Billigung Deutschlands von der EU gerade die letzten Zölle abgeschafft, durch die afrikanische Erzeuger  noch gegen die Exporte von Lebensmitteln nach Afrika geschützt wurden, und vor den afrikanischen Küsten fallen  europäische Trawler unverändert über die dortigen Fischbestände her und ruinieren die lokale Fischerei. Ein solches „Germany First“ aber ist das Gegenteil eines Schutzes gegen zukünftige Flüchtlingsströme und erst recht keine überzeugende Einstellung in einer globalisierten Welt.

Eine ähnlich unverantwortliche Haltung zeigt Frau Merkel  in Sachen EU: Sichtlich ist es für sie seit geraumer Zeit  oberste Prioriät, bis zur Bundestagswahl  – auch in Sachen Euro – nicht mehr das geringste Feuer zu entfachen und die Dinge einfach laufen zu lassen. Ungarn und Polen nutzen dieses Vakuum nach Kräften. So gut wie nichts unternimmt Angela Merkel auch im Übrigen für die Rettung der EU.

Souveräne Regierungsführung sieht anders aus. Der Wunsch vieler nach einem baldigen Wechsel im Bundeskanzleramt ist nur zu verständlich.

 

 

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