Wohnungsnot

8. November 2021 | Von | Kategorie: Teleskop

Die systemkonforme Rezept der Parteien gegen die Unbezahlbarkeit der Wohnungen in den deutschen Großstädten und Ballungsräumen für Normalverdiener ist bekanntlich der Bau zusätzlicher Wohnungen. Rund 306.000 Einheiten wurden im  Jahr 2020  in Deutschland gebaut, 400.000 jährlich sollen es nach den Vorstellungen der Ampel zukünftig sein. Jahr für Jahr wird schon jetzt täglich (!) eine Fläche von 73 Fußballfeldern als Siedlungs- und Verkehrsfläche neu ausgewiesen – Klimawende und Naturschutz hin oder her. Überdies sind, was die Politik gern verdrängt, die neuen Wohnungen für Menschen mit niedrigem Einkommen weitgehend ebenfalls unerreichbar. Genossenschaftliche Wohnungen sind und bleiben ebenso Mangelware wie Sozialwohnungen. So wird der Wohnungsmarkt nicht entlastet.  

Ein weiteres, damit eng verbundenes  Problem ist Leerstand. Dieser wird gemeinhin primär in ländlichen Bereichen verortet.  So vermeldete  etwa die Süddeutsche Zeitung (SZ) in ihrer Ausgabe vom 30. Oktober: „In manchen Städten wird es sehr eng, auf dem Land stehen dafür oft Häuser leer.“ Bereits im  Jahr 2018, so die SZ weiter,  seien   1,7 Millionen Wohnungen ungenutzt gewesen, und im  Jahr 2030 würden  es geschätzt sogar 3 Millionen sein. Tatsächlich treten Leerstände aber massiv auch in den Großstädten  auf – selbst und gerade dann, wenn die dort neu erstellten Wohnungen verkauft wurden. 

Eine eindrucksvolle Betrachtung dieses Phänomens bietet ein Spaziergang durch Nymphenburg, eine der begehrten innerstädtischen Wohngegenden Münchens. Die dort in den letzten Jahren gebauten Wohnungen wurden zu horrenden Preisen häufig als bloße Kapitalanlage erworben und stehen in großer Zahl leer. Unsere Abbildung zeigt beispielhaft ein nur einige Jahre altes Haus in Nymphenburg mit mehreren Wohnungen, das laut Mitteilung eines Nachbarn seit jeher komplett  unbewohnt ist. Nichts Anderes gilt für zahlreiche attraktive Bestandswohnungen in herrschaftlichen Altbauten, die in jüngerer Zeit veräußert wurden. Auch die  in Nymphenburg  vereinzelt noch vorhandenen relativ kleinen Häuser auf großen, schönen Grundstücken stehen nicht selten leer; sie sind regelmäßig in der Hand großer Baugesellschaften, die planen, darauf unter Nutzung fast des gesamten jeweiligen Grundstücks Kolosse mit großen, irrwitzig teuren Luxuswohnungen zu errichten. Auch diese werden dann zweifellos zumindest zum Teil ungenutzt bleiben.  

Nymphenburg hat inzwischen etwas Geisterhaftes. Die Geister sind ultrareiche Personen, gelegentlich wohl auch ominöse ausländische  Gesellschaften, die bevorzugt im finanziell relativ soliden Geldwäscheparadies Deutschland aus Steuerparadiesen oder anderen dunklen Quellen stammende Mittel anlegen. Diese Investoren denken sichtlich nicht im Traum daran, der Wohnungsnot durch Vermietung des Erworbenen abzuhelfen,  geschweige denn zu moderaten Preisen.

Eine ähnliche Entwicklung ist in anderen Großstädten wie in Berlin zu beobachten, auch in weniger hochklassigen Wohnlagen. Dort erwirbt das Große Geld gern Mietshäuser mit zahlreichen intakten und bezahlbaren Wohnungen, vertreibt die Mieter und ersetzt den Bestand durch Neubauten mit teuren Einheiten, die zwar vermietet werden, aber zu Konditionen, die sich nur Betuchte leisten können.

Die weltweit ständig zunehmende, groteske finanzielle Ungleichheit bedroht eben nicht nur die Demokratien durch Machtverschiebungen weg von den gewählten Volksvertretern, sondern beeinträchtigt  zunehmend auch die Lebensgrundlagen der Bevölkerungen. Gewiss: Die Deutschen sind ein allzu risikoscheues Volk von Mietern, nur 51 % von ihnen wohnen in eigenen vier Wänden, weit weniger als etwa in Spanien (76%) oder Italien (72%). In Berlin sind es sogar nur 17%, obwohl Wohnungen dort noch lange nach der Wiedervereinigung außerordentlich preiswert waren. Aber für die Millionen prekär Beschäftigter ist Wohnungseigentum nun einmal zu jeder Zeit unerreichbar, und eine  Gesellschaft, in der Gemeinsinn herrscht, sorgt auch für sie.

Der Kampf gegen die Ungleichheit, ihre Ursachen und zerstörerischen Folgen war indes nie Anliegen der CDU/CSU, erst recht nicht der FDP, spätestens seit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders auch nicht der SPD, und die Spaltpilze Gier und Ungleichheit treiben selbst die Grünen kaum um. Die führenden Politiker sind regelmäßig finanziell gut gestellt und meinen, zu den „Eliten“ zu gehören, deren Interessen sie sorgsam wahren. Schon deshalb ist auch von der Ampel insoweit nichts von Bedeutung zu erwarten.   

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