Worauf wir warten

6. April 2020 | Von | Kategorie: Teleskop

Die Zunahme der Infektionen in Deutschland wird geringer – ein Trend, der sich in der Zeit bis Ostern fortsetzen wird. Dies sollte nicht davon ablenken, dass die derzeitigen Beschränkungen zum Teil unverhältnismäßig und grundgesetzwidrig sind. Beispiele:

Wer in Bayern in erlaubter Weise an der frischen Luft Sport treibt und zum Verschnaufen allein (!) Platz auf einer Bank nimmt, wird von Ordnungskräften zumindest ultimativ aufgefordert, schleunigst aufzustehen und das Weite zu suchen. Wer mit nur zwei weiteren   Zeitgenossen  auf einer großen Wiese unter Einhaltung erheblicher Abstände voneinander gymnastische Übungen durchführen will, riskiert offenbar bundesweit ein erhebliches Bußgeld. Gleiches droht Menschen, die – mit gehörigen Abständen voneinander – gegen die Negierung der Grundrechte demonstrieren wollen. Und wer sein Ferienhaus in  Norddeutschland aufsuchen will, darf  es grundsätzlich nicht, obwohl auch er dadurch nicht zur Verbreitung des Virus beitragen würde. Hinter diesem Verbot steht denn auch in Wahrheit nur das wenig vornehme Bestreben, zu Lasten anderer Bundesländer die eigenen Krankenhäuser zu schonen, obwohl die Zahl der Infektionen im überwiegend ländlichen Norden unverändert gering ist. Die Tatsache, dass der Eigentümer des Zweitwohnsitzes dort wesentlich besser gegen das Virus geschützt wäre als an seinem Erstwohnsitz, der sich typischerweise in einer Großstadt wie Hamburg oder München befindet, hat bei solchem Denken Trump´scher Art keinen Platz.

Alle genannten  Beschränkungen  sind unverhältnismäßig, vom deutschen Infektionsschutzgesetz nicht gedeckt und verstoßen zumindest  gegen die Grundrechte gemäß den Artikeln 2, 8 und 14 des Grundgesetzes. Zum Zweitwohnsitz hat dies das Verwaltungsgericht Potsdam bereits festgestellt. Und das Verwaltungsgericht Münster hat das Grundrecht der Versammlungsfreiheit immerhin rudimentär wieder durchgesetzt.  Die übrigen Verwaltungsgerichte versagen jedoch kläglich.   

Es war unbestritten notwendig, der anfangs wüsten Ausbreitung des Corona-Virus entschieden entgegenzutreten, und es ist verständlich, dass in der entsprechenden Hektik zunächst Wichtiges unberücksichtigt blieb. Nun aber, da jeder infizierte Deutsche im Schnitt nur noch eine weitere Person ansteckt und eine kritische Analyse des ersten Handelns möglich war, ist es hohe Zeit zur Korrektur des Übermaßes. Auch aus anderen Gründen, etwa der zunehmenden häuslichen Gewalt, wird die Politik vernünftigerweise nicht umhin kommen, die derzeitigen Beschränkungen für die Zeit nach Ostern wesentlich zu lockern. Dafür wird schon die Wirtschaft sorgen.  Dabei  muss, soweit wir sehen, letztlich nur Dreierlei beachtet werden.

Erstens: Hilfreich gegen Infektionen ist neben dem gründlichen Händewaschen nach jedem Ausgang (und, was seit den albernen Hamsterkäufen von Papier  nicht mehr erwähnt wird, das Abtrocknen der Hände mit Einmalhandtüchern) vor allem das Einhalten von Abstand zwischen den Menschen.  Daher sollten nicht eng miteinander Verwandte oder Verbundene Mindestabständen voneinander einhalten müssen. Begegnungen anderer Zeitgenossen, bei denen der erforderliche Mindestabstand nicht gewährleistet werden kann, sollten grundsätzlich untersagt werden. Für die Nutzung von Supermärkten und öffentlichen Verkehrsmitteln sollte, solange nichts Besseres zur Verfügung steht,  das Tragen einfacher Masken vorgeschrieben werden, damit immerhin die Gefahr der Ansteckung anderer vermindert wird. Die oben genannten Verbotsexzesse entfielen damit sämtlich.

Zweitens:  Da die Einhaltung genügender Abstände im Ergebnis nicht wirklich effektiv  kontrolliert werden kann, sollte  immer wieder an die (inzwischen ja wesentlich gewachsene) Einsicht der Bevölkerung appelliert werden.  Flankierend sollten die Tests vervielfacht und die Tracing – App (befristet) eingeführt werden.

Drittens: Alte und Personen mit Vorerkrankungen werden in ihren sozialen Beziehungen von den derzeitigen Regeln besonders hart getroffen. Es kann nicht angehen, gerade sie von Lockerungen auszunehmen. Sie sollten daher, soweit sie dazu mental in der Lage sind und nicht in einem Heim mit gefährdeten anderen Insassen wohnen, selbst entscheiden dürfen, ob und inwieweit sie sich – selbstredend unter Einhaltung genügender Abstände zu den Mitmenschen – der dann noch verbleibenden Gefahr einer Infizierung aussetzen. Besuche von und bei Kindern oder Enkeln sollten erlaubt sein, wenn die Alten nicht in Heimen leben. Das Bundesverfassungsgericht hat unlängst entschieden, dass jeder über die Dauer seines Daseins selbst entscheiden darf; dies gilt erst recht für das Eingehen von Risiken, zumal sich abzeichnet, dass die deutschen Krankenhäuser dadurch nicht überfordert werden. Diese Personen sollten erst dann strengen Beschränkungen unterworfen werden, wenn sie sich infiziert haben.

Wird die Vernunft siegen? Die bisher veröffentlichten Vorstellungen der Wissenschaftler wie Prof. Drosten, die unter dem Dach der Leopoldina derzeit Maßnahmen der Lockerung prüfen, rechtfertigen Hoffnung, das unverantwortliche, Angst schürende Gerede vom Höhepunkt der Krise erst im Mai/Juni und die derzeitige Haltung der Bundesregierung weniger.  

Im Übrigen können wir vernünftigerweise nicht viel Gutes erwarten. Deutschland dreht sich fast nur noch um sich und das Virus, vom Klimawandel, den verfallenden Schulen oder der grassierenden Armut im Lande spricht kaum noch jemand. Der Bundespräsident, der mehr Gemeinschaft nach der Krise kommen sieht, sollte inzwischen mehr Übersicht gewonnen haben. Die hässliche, humanes Miteinander und die Existenzgrundlagen der Menschheit immer mehr untergrabende Seite der „Märkte“ hat zu keinem Zeitpunkt  aufgehört, höchst aktiv zu bleiben. Raffgierige Milliardäre haben durch Leerverkäufe pervers und erfolgreich  auf die Folgen der Krise gewettet, bei der Beantragung und Vereinnahmung staatlicher Hilfen zur Abfederung der Krise wird fleißig betrogen, und für dringend notwendige Hilfsmaterialien werden immer wieder abnorme Preise verlangt. Die staatlichen Hilfeleistungen für Kleinunternehmer, insbesondere Selbstständige, sind unzureichend. Den Löwenanteil der Hilfen werden wie üblich die weniger bedürftigen Großunternehmen absahnen, die den besten Zugang zur Politik haben;  auf die Idee, dass zumindest ihre Großaktionäre anstelle des Kassierens von Dividenden auch einmal zum Fortbestand ihres Unternehmens beitragen könnten, kommt selbstverständlich  niemand. Das Oberhaupt der unendlich reichen katholischen Kirche spendet Segen, urbi et orbi, aber kein Geld. Die EU taumelt aufgrund wirrer und machtbesessener Rechtspopulisten sowie nationaler Egoismen weiter auf ihr Ende zu. Und die zuletzt viel gepriesenen deutschen Mitarbeiter der Supermärkte werden ebenso wie die Pflegekräfte in den Kliniken und Altersheimen feststellen, dass sich nach der Krise substantiell nichts zu ihren Gunsten ändert. Zum Trost ein Argument im Sinne der Requisitenkiste eines gewissen Comedians: Alles könnte noch weit schlimmer sein, ist also relativ gut.

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