Der Zerbrochene Krug im WBT

17. April 2016 | Von | Kategorie: Mikroskop

Der zerbrochene Krug, das im Jahr 1808 in Weimar uraufgeführte Lustspiel des Heinrich von Kleist, lässt den Dorfrichter Adam wie einst Ödipus über ein Vergehen urteilen, das er selbst begangen hat – hier die betrügerische Erpressung seitens eines alten Lüstlings, der sich ein junges Mädchen gefügig machen will, dann aber von ihrem Verlobten in die Flucht geschlagen wird und zunächst unerkannt entkommt.

Der zerbrochene Krug ist ein „analytisches Drama“, bei dem Ursachen und Entwicklung  einer vergangenen Begebenheit erst im Verlauf der Handlung erkennbar werden. Im Widerspruch dazu steht der Anfang der Inszenierung des Wolfgang Borchert Theaters (WBT) in Münster: Das Mädchen und der alte Mann beschreiten traumverloren die Bühne, worauf Adam einen zarten Kuss des Mädchens empfängt, das daraufhin der Bühne wieder entschwebt. Dieser das Kommende (2) falsch und  (1) vorwegnehmende Beginn  ist umso zweifelhafter, als das  attraktive Mädchen dabei bekleidet ist, während Adam alle Hüllen fallen lässt und dem Publikum  so den ästhetisch überschaubaren Anblick eines bejahrten, zudem übergewichtigen homo sapiens vergönnt.

Danach jedoch schwingt sich die Inszenierung zu einem genussreichen Theaterabend auf. Der – glücklicherweise wieder bekleidete – Dorfrichter, der sich seiner Überführung lange mit Erfolg entzieht,  wird brillant dargestellt vom Intendanten des WBT Meinhard Zanger, der den  mal polternden, mal leise agierenden, immer aber listenreichen Dorfrichter nicht nur spielt, er ist dieser rumpelnde Manipulator. Auch die anderen Darsteller lassen kaum Wünsche offen. Großartig nicht zuletzt das Bühnenbild, nicht minder das meisterhafte Stück, das unter anderem angesichts der zunehmenden Leistungsverweigerung vieler Richter von Untergerichten in unseren Zeiten von einer gewissen Aktualität ist; angesichts der zahllosen verheerenden Vorbilder seitens unserer so genannten „Eliten“ musste es wohl so kommen.

Wieder zeigt sich: Das WBT ist (fast) immer einen Besuch wert  – auch dann, wenn dabei in Details gelegentlich auch Kritikwürdiges zu Tage tritt. Die Uraufführung des zerbrochenen Krugs  inszenierte übrigens seinerzeit Goethe, wobei er wenig geschickt agierte, unter anderem das Stück in drei Akte zerlegte; sie fiel durch. Warum sollte es dem WBT bei jeder Inszenierung besser gehen….

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